Vor der Deportation
Seit 1.620 Jahren lebten Jüdinnen und Juden in dem Gebiet des heutigen Deutschlands. In den Jahrhunderten des Zusammenlebens hatte es immer wieder Verfolgungen gegeben.
Trotz allem war die jüdische Minderheit Anfang des 20. Jahrhunderts ein weitgehend gleichberechtigter Teil der deutschen Gesellschaft. Doch jahrelange, alltägliche und teilweise gewalttätige Anfeindungen zerstörten die gewachsenen Verbindungen zwischen Jüdinnen und Juden und ihren nichtjüdischen Freund*innen, Nachbar*innen und Kolleg*innen.
Während der Novemberpogrome 1938 schändeten Nationalsozialisten und ihre Sympathisant*innen Synagogen und jüdische Friedhöfe im ganzen Land. Sie plünderten und zerstörten Zehntausende Geschäfte, Häuser und Wohnungen. 30.000 Männer wurden in Konzentrationslager verschleppt, mehr als 1.000 Menschen ermordet. Auch in Edenkoben (Pfalz) kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen. Angehörige der SA zwangen Juden, einen Bus der Reichspost mit dem Schild „Freifahrt nach Palästina“ zu besteigen. Der Bus fuhr nach Karlsruhe, von dort wurden einige Männer ins KZ Dachau gebracht. Dieses Foto wurde 1948 in einem Gerichtsverfahren gegen die Täter verwendet.
Nach den Boykotten der als jüdisch betrachteten Gewerbebetriebe, Arztpraxen und Anwaltskanzleien im April 1933 stellten NS-Ortsgruppen vielerorts antisemitische Schilder auf. Dagegen äußerte die badische Staatskanzlei Bedenken, wie dieses Dokument belegt. Dem Ministerpräsidenten ging es nicht um den diskriminierenden Inhalt der Schilder, sondern um den schlechten Eindruck, den internationale Gäste bekommen könnten.
1933 setze eine Fluchtbewegung aus Deutschland in die Nachbarstaaten ein. 1938 spitzte sich die Situation zu. Auf einer Konferenz im französischen Evian erzielten die 32 teilnehmenden Staaten jedoch keine Einigung über eine großzügigere Aufnahme dieser Flüchtlinge. Polen drohte, allen Bürger*innen die Staatsangehörigkeit zu entziehen, die sich längere Zeit im Ausland aufgehalten hatten. Daraufhin schob das Deutsche Reich Ende Oktober 1938 mehr als 17.000 Jüdinnen und Juden über die polnische Grenze ab. Über die „plötzliche Ausweisung“ berichteten auch französische Zeitungen wie L’Humanité. Der Artikel zeigt, wie schwierig die Informationslage war. Die „Polen-Aktion“ war eine Art Generalprobe für die Deportation nach Gurs.
Als Kommunistin wurde Anna Seghers nach der Machtübernahme 1933 kurzzeitig von der Gestapo inhaftiert. Daraufhin verließ die aus Mainz stammende jüdische Schriftstellerin Deutschland. Sie floh zunächst ohne Mann und Kinder in die Schweiz. Ihr Ziel war Paris, die „Hauptstadt der Emigranten“. Dort schrieb Anna Seghers – geprägt durch ihre eigenen Erlebnisse – den Roman Das siebte Kreuz, der die Flucht aus einem Konzentrationslager schildert. 1941/42 entstand der Roman Transit, in den sie ihre Fluchterfahrung nach Mexiko einfließen ließ.